Heute wollen wir euch einen etwas anderen Einblick in das Unternehmen Wingly geben. Dazu hat unserer deutscher Praktikant Richard, der uns leider schon in den nächsten Tagen verlassen wird um ein neues Abenteuer in Montreal zu bestreiten, seine Eindrücke über seine Zeit in Frankreich mit Parisern, französischer Kultur und natürlich seine Arbeit bei Wingly, niedergeschrieben.
[06:25] Montagmorgen. Der Wecker klingelt. Ich hebe langsam meinen linken Arm und schaue mit trägen Augen auf meine Uhr. Ernüchterung macht sich in mir breit. Das ist doch wirklich eine unchristliche Zeit, denk ich mir.
Ich reflektiere kurz meine Situation. Die zehnte Woche meines Praktikums hat bereits angefangen. Schlicht unglaublich. Time really flies, wie man so schön sagt.
Der Bialetti Moka Express zischt leise auf dem Herd, während ich mir schnell ein Müsli mache. Croissant und Kaffee mag zwar das typische ‚petit dejeuner‘ (Frühstück) sein, aber damit hält es doch keiner bis zum Mittagessen aus!
Was führt mich eigentlich zu Wingly nach Paris?
Zugegebenermaßen war Frankreich oder Paris nicht meine erste Wahl für mein Praktikum im Sommer. Das mag zum einen meinen eher bescheidenen Französischkenntnissen (ich schaffe es gerade so mein Essen zu bestellen) geschuldet sein, zum anderen wollte ich, typisch BWL-Student, die glitzernde Finanzwelt (gut, nach 2007 ist der Glanz etwas verloren gegangen) in London kennenlernen. Sie mich aber anscheinend nicht.
Dennoch wollte ich unbedingt weitere Auslandserfahrung gewinnen und ein Land von einer anderen Seite entdecken. In der Jobdatenbank meiner Universität habe ich dann Wingly entdeckt.
„Paris, tolle Stadt, Start-Up immer gute Sache um wirklich zu lernen was Unternehmensführung bedeutet, Unternehmenssprache ist (thank god) Englisch, Idee scheint zudem wirklich interessant zu sein, warum nicht?“, dachte ich mir. Die Bewerbung schrieb sich wie von selbst, dank der Banken wurde das auch schon zur Genüge geübt. Und siehe da, nach nur wenigen Tagen habe ich bereits eine Antwort erhalten. Das war ich nun wirklich nicht gewöhnt! Nach einem Skype-Interview während meiner Klausurenphase und einem Treffen in meiner Heimatstadt Köln – das Brauhaus Päffgen eignet sich immer gut um Leute kennenzulernen – habe ich mich schon wenige Wochen später im Inkubator ‚Agoranov‘, in dem Wingly sein Büro hat, wiedergefunden.
[08:00] Nach kurzer Fahrt mit der Metropolitan (U-Bahn), bin ich im Büro angekommen. Um diese Uhrzeit bin ich meist der erste vom Wingly Team. In Frankreich ticken die Uhren etwas anders. So kann ich alles in Ruhe organisieren, ein kleinen Espresso trinken und die Stille des leeren Gemeinschaftsbüros genießen. Solche Freiheiten, ebenso wie die große Abwechslung der Arbeit sind ein echter Vorteil, wenn man in einem Start-Up arbeitet.
[09:30] Die Anderen sind inzwischen auch eingetrudelt, manche kurz nach mir, manche erst gegen 9 Uhr. Jetzt machen wir unser all montägliches Meeting bei dem kurz erzählt wird welche Aufgaben diese Woche anstehen und wer welche Aufgaben noch zu erledigen hat. So weiß jeder ungefähr was bei den anderen ansteht.
Die Atmosphäre ist entspannt und locker, aber man spürt trotzdem einen gewissen positiven ‘Stress’, der weniger von den Gründern als von einem selber ausgeht. Man will, dass das Unternehmen Erfolg hat, und die Dinge, die man macht, auch sinnvoll sind und etwas bewegen. Aber keine Sorge, zwischendurch wird schon mal gescherzt, auch wenn der französische Humor doch erst einmal verstanden werden will. Das beruht aber auf Gegenseitigkeit, soweit ich das bisher beobachten konnte.
Von außen erscheint ein Unternehmen immer wie eine Blackbox (Achtung Wortspiel!). Es hat etwas Mysteriöses an sich, man kann nicht reinschauen und weiß nicht was vor sich geht. Das Interessante ist dann wie es ist, wenn man in die Blackbox eintritt und ein Teil davon wird. So wird zum Beispiel mehr Kreativität gefordert als man von außen vermuten würde.
[12:30] Mittag. Lunch. Déjeuner. Es ist auf jeden Fall Zeit etwas zu essen. Das ist wirklich ein Vorteil, wenn man in einem Land arbeitet, welches in der Welt für seine kulinarischen Spezialitäten und feinen Geschmack bekannt ist.
In der näheren Umgebung vom Büro gibt ist eine recht gute Auswahl an Brasserien, Supermärkten oder Bäckereien, aber meistens entscheiden wir uns doch zu ‚Petit Lux‘ zu gehen, einer Boulangerie mit hervorragend belegten Baguettes und Salaten. Ich kann jedem den Salat Chreve Lardon nur wärmstens ans Herz legen, wenn er mal in Paris weilen sollte!
Nach der Pause geht es entweder direkt weiter oder wir Praktikanten spielen noch kurz eine Runde Kicker (kurz mal das Start-Up Klischee bedienen).
Frankreich. Unser Nachbar. Paris, die Stadt der Liebe und des Lichts. Eine kulturelle Vielfalt, die wirklich außergewöhnlich ist und ich in Deutschland noch nicht so angetroffen habe. Bevor ich hier angefangen habe, war ich bereits einige Male in Paris. Ich kannte also schon die Stadt bzw. ich dachte sie zu kennen. Wer hat nicht mal den Touristen in Paris gespielt? Klar, ich war im Louvre, Musée d‘Orsay, in Galerien, bin an der Seine entlanggegangen, konnte mich aber wenigstens vor jeglichen Stadtführungen und Bootsfahrten bis zum heutigen Tage retten. Aber es gibt immer mehr in einer solchen Stadt zu entdecken und dies ist nur möglich, wenn man dort auch wohnt, morgens um halb sieben aufsteht und anfängt voll Unverständnis auf die ausländischen Touristen schaut. Ich würde das als ersten Schritt hin zu einem echten ‚Parisienne‘ bezeichnen.
Obwohl ich aus einer Millionenstadt komme (darauf sind wir Kölner immer besonders stolz), und schon in Metropolen wie New York, London, Peking, Seoul oder Shanghai gewesen bin, ist das Leben in Paris doch nochmal etwas Besonderes. Morgens, wenn du zur Arbeit mit der Metro fährst, spürst du, dass es die Stadt einen ganz eigenen Puls besitzt nach dem du dich, ob du willst oder nicht, schnell zu richten anfängst. Du fängst auch an Bücher bei der Fahrt zu lesen, das Arbeiten immer mehr als persönliche Berufung zu sehen und jegliche Freizeit, die vor Sonnenuntergang ist, als unverdient anzusehen.
[17:00] Inzwischen wurden doch einige Espressi von mir konsumiert. Ja, ich muss zugeben, ich habe eine latente Kaffeesucht, aber wenn schon eine Sucht, dann doch lieber Kaffee, oder? Die ersten Mitarbeiter der anderen Start-Ups um uns herum verlassen langsam ihre Arbeitsplätze. Es gibt jedoch immer noch einige Dinge zu erledigen, wie neue Facebook-Post-Ideen zu entwickeln, Kundenanfragen zu beantworten oder eben diesen Blog zu schreiben. Generell lässt sich sagen, dass es immer etwas zu tun gibt. Wenn es keine direkten Aufgaben sind, findet man schnell Dinge, die man selber gerne genauer betrachten und mal eine kurze Analyse erstellen will.
[19:00] Feierabend. Die Metropolitan ist voll von Pendlern, wie mir eben, aber trotzdem herrscht geradezu Stille. Es ist wie ein stillschweigendes Abkommen zwischen den Parisern, dass sich keiner lautstark unterhält. Das Schweigen wird nur von Touristen unterbrochen, die vor allem rund um St. Michel oder Châtelet ein- und aussteigen. Da ist es egal woher die Touristen kommen, Deutsche, Briten, Amerikaner, Chinesen oder Spanier. Es wird laut gegrölt und mit dem Selfie Stick rumgewedelt als wolle man das Handy nun auch noch als Fliegenklatsche missbrauchen.
Die Monate bei Wingly haben mich nicht nur auf rein professioneller Ebene weitergebracht, sondern auch gelehrt wie wichtig es ist kulturelles Verständnis für einander zu haben. Offenheit für Neues heißt nicht direkt, dass man seine Heimat leugnet oder vergisst. Man ergänz lediglich seinen Erfahrungsschatz um ein weiteres Kapitel und erfährt wie unterschiedlich aber doch auch ähnlich Länder und Kulturen sein können. Das ist einer der wichtigsten Dinge, die ich von Wingly mitnehmen werde.
Wenn ich die Chance habe, werde ich wieder für längere Zeit nach Paris gehen (und dann vielleicht auch endlich mal Französisch lernen), weil diese Stadt eine unglaubliche Anziehung auf einen ausübt. Hemingway beschreibt in ‚A Movable Feast‘ wohl besser als jeder andere was Paris ausmacht. Egal was hier in den letzten Monaten passiert ist, Paris hat noch immer etwas von diesem Glanz der 20er Jahre behalten.
Der Autor
Richard Schierjott, 21, ist Student der BWL an der WHU – Otto Beisheim School of Management in Vallendar, Deutschland
Er war für drei Monate Praktikant bei Wingly und primär für Marketing, Kommunikation und das Community Management zuständig. Erste Auslandserfahrung hat er während seines 12-monatigen High-School-Aufenthalts in den USA mit der ASSIST Stiftung gesammelt.
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